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5 Schritte zur Vergebung

5 Schritte zur Vergebung

Gegen wen hegst du einen Groll? Wer macht dich sauer? Wie gut tut dir dieser Groll, diese Wut?

Es gibt Themen, bei denen wissen wir instinktiv, dass wir vergeben sollten (oder zumindest könnten), aber irgendwie "hängt" da noch was.

Zu vergeben bedeutet, jemandem zu verzeihen oder zu ent-schuldigen (der Schuld oder Beschuldigung ein Ende setzen).

Vergebung muss keine Versöhnung sein, und manchmal geht das auch gar nicht mehr, da die schuldige Person keine Versöhnung möchte oder nicht (mehr) anwesend ist.
Vergebung ist auch kein Vergessen dessen, was passiert ist.

Vergebung dient in erster Linie dir selbst. Du befreist dich durch Vergebung von belastenden Emotionen und Glaubensmustern und stellst wieder mehr Frieden im Umgang mit einer Person her.

Doch natürlich ist das nicht so einfach getan wie geschrieben.
Lass uns daher einmal tiefer eintauchen.

Vergebung setzt eine Schuld voraus...

Weiß die andere Person, dass du sie für schuldig hältst? Habt ihr darüber gesprochen, was sie dir angetan hat?

Jemandem Schuld zuzuschreiben setzt ein gewisses Gerechtigkeitsempfinden voraus. Ohne dass man sich ungerecht behandelt fühlt, kann es keine Schuld geben. Eine Art, wie der Schuldausgleich stattfindet, ist die Reue des Täters oder die Begnadigung durch das Opfer.

Oft durch eine Art von Tausch: durch "Aug' um Aug'", also Rache, oder durch eine Art "Schmerzensgeld", eine Entschädigung, die den Schaden des Opfers kompensieren soll.

Das sind Formen von Verzeihen, die an Kompensationen oder Bedingungen geknüpft sind.

Vergebung setzt ein Opfer voraus...

Hier muss ich gleich einmal differenzieren zwischen Fakt und Drama. Es gibt unveränderliche Fakten, Handlungen, die passiert sind. Von Lappalien über Vergewaltigung bis zu Mord. Natürlich haben Menschen eine entsprechende Strafe für ihre Taten nach geltendem Recht zu bekommen.

Das Drama, was aus den Fakten gemacht wird, ist individuell und veränderlich. Es gibt Berichte, dass Eltern den Mördern ihrer Kinder vergeben haben - manchmal auch erst nach Jahren. Es gibt auch Berichte darüber, dass Vergewaltigungsopfer ihren Tätern vergeben; manchmal aber auch nur als Verdrängungsmechanismus, damit sie danach "die andere Wange" wieder hinhalten können, da sie sich aus den Fängen des Täters nicht entreißen können.

Jeder Mensch interpretiert eine Demütigung anders. Im Idealfall lernt man etwas aus einer Demütigung, sei es über sich selbst oder im Umgang mit anderen Menschen.

Ob meine folgenden Ausführungen auch für die schlimmen Dinge funktionieren, kann ich nicht sagen. Für zwischenmenschliche, kleine und große Demütigungen (ohne Einwirkungen auf den Körper) kann ich meiner Erfahrung nach sagen, dass du mit den folgenden Hinweisen lernen kannst, anderen Menschen zu vergeben.

Vergebung setzt eine Beziehung voraus...

Jede Vergebung setzt ein Opfer voraus, das in einer Beziehung zum Täter steht. Sei es in einer Eltern-Kind-Beziehung, Verwandtschaft, Liebesbeziehung, Arbeitsbeziehung, Freundschaft oder anderen Formen von Beziehungen.

Dem Idioten zu vergeben, der mir die Vorfahrt genommen hat, ist leichter als einem Freund zu vergeben, der mit meiner Partnerin fremdgegangen ist; und das meiner Partnerin zu vergeben, ist dann wieder eine andere Hausnummer.

Schritte zur Vergebung

Also, jede Vergebung setzt ein Opfer voraus, das durch einen Täter, mit dem es in Beziehung steht, so behandelt wurde, dass es verletzt wurde.

Schritt 1: Schau genau hin

Der erste wichtige Schritt zur Vergebung ist, dass du dir anschaust, was emotional passiert ist, wie du traumatisiert wurdest. Der Umgang mit möglichen körperlichen Schäden ist ein anderes, aber genauso wichtiges Thema. Mir geht es hier um den emotionalen Anteil.

Nehmen wir mal das fiktive Beispiel 1, dass dich deine Stiefmutter als Kind immer als unfähiges Kind behandelt hat: egal, was du auch anpackst, alles machst du schlecht. Das Zimmer kann nicht ordentlich genug sein. Wenn du mit dreckigen Klamotten nach Hause kommst, gibt's obendrauf noch Ärger. Und dann redet sie einige Tage nicht mehr mit dir, damit sich das Gefühl, du seiest nicht gut genug, auch so richtig fest in dein kindliches Unterbewusstsein einbrennt und zum automatisch ablaufenden Programm wird, das dein Erwachsenenleben an einigen Stellen erheblich prägen wird.

Ja, ein schönes Beispiel, denn die Taten liegen alle schon eine Zeit zurück und ihre Wirkung hat schon Spuren in der Biografie hinterlassen. Das ist ein klassisches Beispiel aus einer inneren Kind- oder Schattenarbeit: das Finden der Prägungen für bestimmte, limitierende Glaubenssätze.

Beispiel 2 ist folgendes: dein Partner hat dich mit jemand anderes betrogen.

Beim genauen Hinschauen geht es darum, dass du dir deiner Gefühle und Gedanken dazu gewahr wirst. Diese Gefühle und Gedanken werden mit hoher Wahrscheinlichkeit "Tiefgang" haben bzw. Schichten, wie bei einer Zwiebel, die Stück für Stück erkannt und bearbeitet werden wollen, damit sich die Vergebung "real" anfühlt.

Welche Gedanken und Emotionen könnten bei Beispiel 1 aufkommen?

  • Die blöde §%$ hat mich behandelt, als könnte ich nix.
  • Jetzt habe ich sogar erkannt, dass sie Schuld daran hat, dass aus mir nichts geworden ist
  • Das macht mich echt sauer!

Und bei Beispiel 2?

  • Die blöde §%$! Wie kann sie mir sowas antun? Was hab' ich ihr getan?
  • Ich werde nie wieder mit ihr reden
  • Ich bin total unglücklich und traurig

Aber wie oben angedeutet, solche Gedanken und Gefühle schwimmen eher an der Oberfläche im Bewusstsein. Lass und mal schauen, wie etwas tiefere Gedanken aussehen könnten:

Zu Beispiel 1:

  • Oh man, ich bin echt überwältigt von der Fülle an verlorenen Chancen
  • Wie hätte mein Leben werden können
  • Das frustriert mich echt
  • Ich will es einfach nicht akzeptieren, dass es so ist, wie es ist

Zu Beispiel 2:

  • Sie ist bestimmt deswegen mit dem fremdgegangen, weil er irgendwo besser ist als ich
  • Ich weiß ja, dass ich nicht alles kann oder superordentlich bin, aber dann gleich fremdgehen?
  • Womit habe ich das verdient?
  • Das darf doch nicht wahr sein!

(Hinweis: die emotionale Ur-sache für die Gedanken aus Beispiel 2 könnten aus Beispiel 1 stammen.)

In beiden Beispielen sind wir jetzt an einer Schwelle angekommen: die Gedanken und Emotionen über die Scherben der gegenwärtigen Situation.

Schritt 2: Akzeptiere bedingungslos die gegenwärtige Situation

Weil: was sonst? Du kannst mit dem Kopf gegen die Wand rennen oder einen Hexentanz aufführen. Alles das wird niemals etwas daran ändern, wie die gegenwärtige Situation, also die Faktenlage, gerade ist.

Der Widerstand gegen die gegenwärtige Situation ist dann eine weitere Schicht, die du dir in deinen Gedanken und Emotionen anschauen kannst.

Zu Beispiel 1 und Beispiel 2:

  • Ok. Es ist, wie es ist.
  • Den verpassten Chancen der der verpassten Zukunft hinterherzurennen, bringt mich nicht weiter.
  • Ich spüre wieder etwas mehr Zuversicht
  • Welche Möglichkeiten habe ich, daraus ab jetzt das Beste zu machen?

Meiner Ansicht nach kann man lernen, eine Situation bedingungslos zu akzeptieren - was nicht heißt, dass man sie gut finden muss. Ein Blick in die Vergangenheit kann helfen, um für die Zukunft zu lernen. Aber jetzt ist es, wie es ist und in diesem Augenblick kannst du dich entscheiden bzw. die Intention setzen, das Beste daraus zu machen.

Du übernimmst nun Verantwortung für das, was ist und sein wird.

Schritt 3: Übernimm Verantwortung

Wir haben immer nur den gegenwärtigen Augenblick und können aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen. Ab diesem Punkt übernimmst du die Verantwortung. Du hast in der Vergangenheit einen Schaden erlitten, aber trägst von nun an die (emotionalen) Konsequenzen nicht mehr weiter unbewusst in die Zukunft.

Das bedeutet, dass du dir einen Plan machst, wie du beispielsweise all die Ausprägungen des Glaubenssatzes "Ich bin nicht gut genug!" aus Beispiel 1 in deinem Alltag "entlernst".

Oder bei Beispiel 2 könnte es darum gehen, dass du dir Gedanken machst, ob und wie ihr die Beziehung weiterführt oder beendet.

Doch damit ist die Kränkung aus der Vergangenheit noch immer in dir. Da ist nichts geheilt, vergeben oder versöhnt. Und auch dafür hast allein du den Zugang und die Verantwortung. Damit dir das leichter fällt, kann es sich lohnen, etwas Mitgefühl aufzubringen und einmal die Plätze mit dem Täter zu tauschen.

Schritt 4: Tausche die Plätze

Wie könnte es aussehen, wenn das Kind aus Beispiel 1-mal mit der Stiefmutter die Plätze tauscht?

  • Was muss passieren, damit ich mein (Stief-)kind so behandle, wie ich behandelt wurde?
  • Vielleicht wenn ich gestresst bin?
  • Oder wenn ich das Kind nicht mag?
  • Vielleicht weiß ich gar nicht, wie man ein Kind gut behandelt?
  • Was, wenn sie gute Absichten hatte und ich es nicht verstanden habe?
  • Wollte sie vielleicht nur sichergehen, dass ich immer ein ordentliches Zimmer und saubere Klamotten habe?
  • Wie alt war sie damals eigentlich?
  • Hätte ich das in dem Alter meistern können?
  • Welche Probleme hatte sie damals oder wir als Familie?
  • Wie wäre ich mit einem Stiefkind in dem Alter umgegangen - wo sie doch auch eigene Kinder hat?

Wie könnte ein Platztausch in Beispiel 2 aussehen?

  • Was müsste passieren, damit ich fremdgehe?
  • Vielleicht unzufrieden in der Beziehung oder im Bett?
  • Vielleicht habe ich auch Angst, meine Ziele mit meinem Partner nicht zu erreichen?
  • Vielleicht suche ich nach Abwechslung?

Die Idee ist, so viele Gründe wie möglich zu finden, warum das Verhalten menschlich ist. Die Haupterkenntnis kann am Ende sein, dass eben genau all dieses Verhalten menschlich ist. Menschen machen Fehler.

Irgendwie hat bei diesen Menschen alles, was sie bisher erlebt haben, dazu geführt, dass sie so gehandelt haben.
Genauso wie alles, was ich bisher erlebt habe, dazu geführt hat, dass ich so handle.

Sie wussten es nicht besser. Ich weiß es nicht besser. Nur weil ich es heute anders sehe, heißt das nicht, dass sie es damals auch hätten wissen müssen.

Genau das macht Menschsein aus.

Wenn du demütig auf dich und demütig auf deine Mitmenschen schauen kannst, fällt dir Vergebung immer leichter.

Zu erkennen, dass man in unterschiedlichen Bereichen einen unterschiedlichen „Reifegrad“ hat; und dass das auch auf alle anderen Menschen zutrifft und es eine gemeinsame, menschliche Erfahrung ist, die jeder individuell (er)lebt, kann ungeheuerlich viel Demut erzeugen.

Wie kann man einen Groll gegen jemanden haben, der "einfach nur" eine menschliche Erfahrung macht, mit der er noch nicht gekonnt umgeht?

(Wie oben angedeutet, das soll keine Taten schönreden, aber wenigstens nachvollziehbarer machen. Psychische Krankheiten ausgenommen.)

Schritt 5: Erinnere dich regelmäßig daran

Die oben genannte Erkenntnis war für mich ein massiver Perspektivwechsel. Damit dieser Perspektivwechsel Früchte trägt, muss er auch regelmäßig er-innert werden. Erinnere dich regelmäßig an diese gemeinsame, menschliche Erfahrung des Menschseins. Das macht für mich vergeben recht einfach.

Was es natürlich nicht macht, ist, zu versöhnen oder dir die Verantwortung für die Konsequenzen abzunehmen.
Das ist das Zeug, aus dem das echte Leben ist.

Das sind die Themen und Situationen, an denen wir wachsen, weil wir Erfahrung und Fähigkeiten dazu gewinnen.
Und genau solche Erfahrungen und Fähigkeiten sind es, die es uns am Ende ermöglichen, ein gutes Leben zu führen, weil wir mit immer mehr Situationen lernen gut umzugehen.

Und das Wichtigste bei diesem Thema: starte bei dir und vergib dir selbst.